Christiane Hauslaib-Lehmann: Rosbacher Abgesang auf C

Rosbacher Abgesang auf C

 

Mensch besinn‘ dich – geh‘ in dich

Wilhelm Busch

 

Es ist Anfang April und sehr warm für diese Jahreszeit. Ich sitze auf einem moosbewachse-nen Stück Fels in der Sonne und habe Zeit wie seit meiner Kindheit nicht mehr. Der große Stein ragt auf der Paddockweide im Siegtal unter dem Baum am Brunnen hervor. Gerade habe ich den Pferden neues Wasser eingelassen.

 

Es ist schon seltsam. Einzelne große Unternehmen bezahlen nach gerade Mal ein paar Wochen Corona – Kontakteinschränkung und Schließung von Lokalen und Nichtnahrungsläden - keine Miete mehr und wollen Milliarden Unterstützung haben. Andere Mode- und Haute Couture-Unternehmen unterbrechen ihre Produktion und fertigen Schutzkleidung und Gesichtsmasken an, um sie Italien und Frankreich zu spenden. Und einige Autohersteller tüfteln an der Herstellung von Beatmungsgeräten für die Krankenhäuser. Kein Virus spaltet die Meinungen der Menschen so sehr wie Covid19.

 

So langsam spüren Alle, dass die Zeiten des Wachstums vorbei sind. Es geht wieder darum, auf einander zu schauen, mal mit seinem Nachbarn zu reden, mit dem man schon seit vielen Jahren vis-à-vis wohnt. „Wie geht es Dir?“ ist keine Floskel mehr, sondern ich spüre in diesen Tagen eine echte Anteilnahme. Albert Einstein soll „Wahnsinn" einmal so definiert haben: "Immer wieder das Gleiche tun und andere Ergebnisse erwarten" Es ist eine Chance, möge sie ein Umdenken in Richtung achtsamer Umgang mit der Natur und unserer Erde bewirken sowie eine Rückbesinnung auf alte Werte wie Zusammenhalt, Beständigkeit und Zufriedenheit.

 

Nada, die Schimmelstute, gesellt sich nach dem Tränken zu mir. Früher war es bedeutend anstrengender gewesen, Wasser zu pumpen. Ich musste immer weiter den Pumpschwengel betätigen und  zwischendurch den Arm wechseln, wenn die Oberarmmuskeln auf der einen Seite zu schmerzen begannen. Heute drücke ich einen Schalter und das Wasser läuft ohne Anstrengung in die Tränkbottiche.

 

Sie kommt ganz nahe und bleibt bei mir stehen. Unergründlich schaut sie mich mit ihren dunklen Augen, die von weißen Wimpern umkränzt sind, an. Ich streichele sie und drücke mein Gesicht an ihren Hals. Ein Duft nach warmem Pferdefell und Heu steigt mir in die Nase. Meine Sorgen um Gott und die Welt verlieren nach und nach - fast unmerklich - an Gewicht. Die lange Pferdemähne, die unter ihrem Hals hervorschaut, ihr Fell vor dem blauen Himmel am Brunnen und die dunklen Bäume im Hintergrund inspirieren mich. Noch ein anderes Pferd, Talala, kommt dazu. Reizvolle Perspektiven ergeben sich. Gut, dass ich vorhin doch noch das Handy in der lädierten, grünen Hülle in meine Tasche gesteckt habe. Ich beginne meine Position zu verändern…

 

Es ist ein Gefühl wie früher auf dem großväterlichen Bauernhof. Damals hatten wir genauso viel  Zeit wie jetzt durch diese ungeheure Ausnahmesituation. Langsam überkommen mich wieder das Gottvertrauen und diese absolute Sorglosigkeit aus meinen Kindertagen. Es wird schon gut ausgehen. Zulassen, was sich daraus ergibt.  Einen ganzen Nachmittag verstreichen lassen. Blankes Sein – sich selbst spüren - ein paar Bilder  machen.

 

Manchmal hatten wir Kinder stundenlang völlig selbstvergessen zusammen gespielt und danach fast einen ganzen Laib Brot aufgegessen, jede Scheibe mit Butter bestrichen und oben-drauf selbstgemachte Johannisbeeren-Marmelade. Hm, frisch gebackenes, noch warmes Brot, mit dieser herrlich knackigen Kruste.

 

Oder wir verhalfen den Forellen in dem kleinen klaren Fluss, der direkt neben unserem Eltern-haus vorbeiführte, zu besonderen Leckerbissen. Wir fingen die durch die Tierhaltung im Über-fluss vorhandenen Fliegen, ein Glas mit Deckel und ein wenig Mehl mit Wasser spielten dabei eine Rolle. Dann ordentlich durcheinandergeschüttelt und schon hatten wir den prächtigsten Fischfuttersnack zusammen, den man sich nur vorstellen kann. Die Fische liebten es und schnappten wie wild danach. Und meine drei Cousins und ich hatten quasi zwei Fliegen mit einer Klappe gefangen, eine Verminderung der summenden Plagegeister und später, in den Bratpfannen unserer Mütter, wohlschmeckende, weil gut genährte Forellenfilets…

 

Gestern waren wir das dritte Mal in diesem Jahr ausreiten gewesen, Clara, die Pastoren-tochter und ich. Kurz nachdem wir losgeritten waren, sagte ich „Clara, es gibt jetzt zwei Möglichkeiten, erstens einen kurzen Ausritt bis zum Bauhof und zurück. Oder wir machen die normale Runde, dann müssen wir aber zwischendurch absteigen und die Pferde zehn Minuten führen, zum Rückenentlasten.“ 

 

„Ja, die zweite Möglichkeit“, Clara schaute mich an und grinste. Warum fragte ich eigentlich? Es gibt nichts schöneres, als mit einer gleichgesinnten Person sein Glück zu teilen. Und was strahlen unsere Augen, wenn wir zusammen mit den Pferden in Wald und Wies‘ unterwegs sind!

 

Neulich unterschrieb ich eine online-Petition, die einen Waffenstillstand in allen Kriegsgebie-ten in Zeiten von Corona unterstützt, initiiert vom Generalsekretär der Vereinten Nationen. Hoffentlich wird sie von Erfolg gekrönt sein!

 

Was so ein kleiner Virus doch für ungeahnte Möglichkeiten entfaltet. In diesem Sinne: auf viele positiven Veränderungen für uns alle!  Zusammen sind wir stark. Und sei es auch - in Zeiten wie diesen - nur virtuell.

 

 

9. April 2020                          

 

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