Die Liebe in den Zeiten von Corona

Decamerone in Schladern und der finale Reim auf Timbuktu.

 

Die Geschichte ist rein fiktional und stellt einen aktuellen Bezug unserer Corona-Situation zum erwähnten und zitierten literarischen Vorbild her.

 

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Frieder Döring

 

Die Liebe in den Zeiten von Corona

(Eine komparatistische Fiktion)

 

Auf dem vorläufigen Höhepunkt der hiesigen Corona-Seuche kurz vorm Wochenende nach Ostern kam unser ältester Enkel Hannes bei uns in Schladern vorbei und begrüßte mich:

 

„Hallo Opa, geht es vielleicht, dass ich mit drei netten Freundinnen das Gartenhaus im Paradiesgarten mal für ein paar Tage als Unterkunft nutzen kann. Uns fällt in Troisdorf bei unserer Home-Office-Quarantäne die Decke auf den Kopf. Hier oben bei euch ist alles viel hübscher, ruhiger und weniger riskant. Wir bringen auch alles mit, was wir brauchen und räumen später natürlich wieder gründlich auf. Du kennst mich ja.“

 

„OK, Hannes! Du bist ordentlich, vernünftig und alt genug. Und euer Bedürfnis nach ein bisschen Natur und Urigkeit wie im Paradiesgarten kann ich auch gut verstehen. Aber drei Frauen? Bist du sicher, dass du dir das gut überlegt hast und dich nicht überschätzt? Schwebt dir sowas vor wie „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ von Gabriel Garcia Marquez?“

 

„Nee, Opa, wenn schon was Literarisches, dann eher wie „Das Decamerone“ von Giovanni Boccaccio. Du weißt schon, wo drei Männer und sieben junge Frauen im 14. Jahrhundert aus Florenz vor der Pest-Seuche aufs Land in ein abgelegenes Landhaus fliehen und sich dort zehn Tage lang mit erotischen Geschichten unterhalten. Wie ich dich kenne, hast du das bestimmt schon als Dreizehnjähriger gelesen, oder?“

 

„Da kannste Recht haben Hannes. Ich hab das sogar mehrmals gelesen, und das trifft eure Situation in abgespeckter Form genau! Aber wollt Ihr euch wirklich nur lauter Geschichten erzählen, oder zieht Ihr euch vielleicht auch ein paar Pornos auf dem Smartphone rein? Komm, sei ehrlich zu deinem Opa!“

 

„Ojojojo, Mann! Pornos mit drei Frauen auf der Matratze! Wir sind Ende zwanzig! Und hast Du nicht immer gepredigt: Selbst ist der Mann? Also ich bitte Dich!“

Hannes schüttelte sich wie vor Ekel. "Jetzt gib mir mal die Schlüssel und komm morgen einfach bei uns vorbei. Ich stell sie dir vor und dann kannst du dir persönlich ein Bild davon machen, was wir so treiben. Ich hab nämlich im Sprinter auch unsere Fahrräder mitgebracht, damit ich den Mädels die Highlights von Windeck zeigen kann!“

 

So wurd`s gemacht. Ich gab ihm die Schlüssel und ging am nächsten Tag die Situation auskundschaften.Hannes stellte mir seine drei hübschen Freundinnen vor, die Katie, die Chrissie, die Babs. Sie begrüßten mich freundlich, natürlich unter Einhaltung der Abstandsregeln. Das allerdings nur mir gegenüber, nicht untereinander. Das bräuchten sie auch nicht, wie sie mir lächelnd erklärten, da sie alle aus einem Haushalt kämen.

Ich erkundigte mich, wie sie geschlafen hätten, und wies darauf hin, dass die Nacht wohl recht kalt gewesen sei. Sie meinten unisono, nö für sie eigentlich nicht. Es gäbe ja diese tollen Biwak- Schlafsäcke und in dem kleinen Gartenhaus müsse man eh eng zusammenrücken. Damit war für sie das Thema abgehakt.

 

Zum Abschied begleitete mich der Hannes noch bis zum Gartentor und ich erinnerte ihn an zwei frustrierende Aufenthalte von ihm vor ein paar Jahren, wo ihm die Freundinnen nach solchen Kurzurlauben im Paradiesgarten anschließend weggelaufen waren, weil sie Angst vor Mäusen und Spinnen hatten und meinte: „Also entwickelt sich vielleicht bei dir doch noch alles wie in „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“, man muss nur lange genug Geduld haben und konsequent am Ball bleiben, oder?“

 

Hannes schaute in den Himmel, machte ein nachdenkliches Gesicht und antwortete:

„Weißt Du, Opa, es entwickelt sich wohl eher wie in dem preisgekrönten Gedicht von dem Du mir mal erzählt hast, als dieser australische Schafhirte den ersten Preis im internationalen Dichtertreffen von Timbuktu gewonnen hat bei den Vierzeilern, die unbedingt auf Timbuktu enden mussten. Wie ging das noch?“

 

„Oh, ich weiß, Hannes!“ platzte ich raus und deklamierte:

 

„When Tim and I to Melbourn went

We met three women in a tent.

As they were three and we were two

I booked one and Tim booked two!”

 

Hannes winkte mir nach: “Siehste, Opa, du kannst es doch noch!“